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 Geschichten mit Tarot
Calendula Offline




Beiträge: 306

19.07.2006 09:19
RE: Sonne und Mond Antworten

Sonne und Mond
Bettina Buske

Katrin spülte ihre Kaffeetasse aus und entschied sich,die 20 km mit dem Fahrrad zu fahren. Wird ja wohl für längere Zeit das letzte Mal sein, vielleicht sogar für immer, dachte sie. Tränen traten ihr in die Augen. Nur zusammenreißen, sagte sie sich, jetzt nur zusammenreißen. Irgendwie waren die letzten drei Jahre richtige Scheißjahre gewesen und kaum, dass man glaubt es ist vorbei, kommt so eine Diagnose.
Sie sah auf die zwei Tarotkarten, die sie sich auf den Verlauf ihrer Erkrankung gezogen hatte.
Sonne und Mond, was kann widersprüchiger sein als diese Karten? Den Mond, der ist klar, den lebt sie gerade, Ängste und Unsicherheit, aber die Sonne? Ein Hinweis auf eine Strahlenbehandlung? Aber ist ja Quatsch, bei ihrer Erkrankung gibt es doch nur Chemo, außerdem sehr unorthodox so zu deuten. Ein Hinweis, dass sie schon vor den Toren des Paradieses steht? Ach, auch Blödsinn, soweit ist es noch lange nicht und außerdem trägt die Karte die Bedeutung Lebensfreude, Vitalität, aber das fühlt sie schon lange nicht mehr.
In solchen Situationen sollte man eben nicht selber deuten, dachte sie.

Als sie ihr Rad aus dem Keller geholt hatte, bemerkte sie, dass es erst viertel sechs war, oder viertel nach fünf, wie Andreas sie immer korrigieren musste. Selbst diese sprachliche Eigenart ihrer Heimat hatte er plötzlich an ihr zu benörgeln gehabt. Ein Glück, dass sie den Absprung geschafft hatte.
Sie entschied sich, auf dem Wanderweg durch den Wald nach Templin zu fahren, so früh würde sie die Strecke ganz für sich haben.
Lautlos glitt eine Eule an ihr vorbei. Katrin erschrak kurz und sprach sie in Gedanken an: Hast dich wohl etwas vertrödelt? Nun aber schnell in deine Höhle!
Im Gras und an den Spinnweben zwischen den Zweigen der Bäume hing Tau und die frühen Sonnenstrahlen ließen ihn glitzern. Vogelsang überall, kurz vor ihr wechselten zwei Rehe den Weg. Was für ein schöner Morgen, dachte Katrin. Auf halber Strecke merkte sie, dass sie einer Pause bedurfte, ihr Körper war schweißbedeckt und im Mund hatte sie metallenen Blutgeschmack. Sie wischte den Schweiß vom Gesicht und verharrte kurz, als sie die geschwollenen Lymphknoten am Hals berührte.
Ganz in der Nähe stand eine Bank, von der aus man einen weiten Blick auf die eiszeitgeprägte Landschaft hatte.
"Piii, piii". Katrin blickte auf und sah einen schwarzen Milan vor einer fast runden Mondscheibe am hellen Himmel seine Kreise ziehen. Steige hoch, du roter Adler, grüßte sie ihn in Gedanken.
Der Rest der Strecke war nicht so beschwerlich, da sie leicht abschüssig wurde. An der Badestelle des Lübbesees sah sie auf ihre Uhr, viertel acht, oder viertel nach..., nein viertel acht ist es, dachte sie. Eigentlich zu früh, es reicht, wenn ich um acht zu Mutti hoch gehe. Ist gerade keiner hier, da kann ich noch schnell ins Wasser gehen. Sie streifte Pulli und Hose ab und ging in Unterwäsche ins Wasser. Das Wasser war weich und klar. Es stand ihr bis zur Brust und noch immer konnte sie ihre weißen Beine mit den blauen Flecken, Male ihrer Erkrankung, erkennen.
Sie ließ sich vom Wasser tragen, drehte sich und schwamm ein Stück. Ach, wie gut das tat. Wie ihr das gefehlt hatte. Immer weiter schwimmen, bis alle Kräfte sie verlassen und dann untergehen, kam ihr ein Gedanke. Aber wohl nicht schön für ihre Eltern, die jeden Tag hier vorbei gehen. Wieder drehte sie sich auf den Rücken, lag ganz still da und sah in den Himmel. Toter Mann - schön ist das, sich so tragen zu lassen. Sie sah am hellen Himmel sowohl den Mond als auch die Sonne stehen und plötzlich war sie zuversichtlich.

© Bettina Buske
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